„Die traditionelle Großfamilie stirbt aus“

INTEGRATION -  Die Berliner Unternehmerin Serife Gol über den wachsenden Bedarf an Pflegeangeboten für ältere Migranten

INTERVIEW: BEHRANG SAMSAMI
taz: Frau Gol, Sie leiten einen interkulturellen Pflegedienst. Was unterscheidet den von anderen Pflegeangeboten?

Serife Gol: Unsere Pflegekräfte sprechen neben Deutsch noch andere Sprachen wie Türkisch, Arabisch, Russisch oder Serbokroatisch. Ab und an bieten wir auch weitere Sprachen an, etwa Persisch.Wozu?...

Unseren Patienten fällt es leichter, sich in ihrer Muttersprache auszudrücken. Zu Pflegern, mit denen sie sich leichter verständigen können, fassen die Patienten schneller Vertrauen. Und neben allgemeinen Diensten wie Kochen, Einkaufen und Waschen unterstützen wir unsere Patienten auch sprachlich: Wir schreiben für sie Briefe, begleiten sie zu Ärzten und Behörden. Sie müssen wissen, dass unsere Patienten vor allem ehemalige Gastarbeiter der ersten Generation und Handwerker sind, die nicht lesen und schreiben können.
Ist es wichtig, dass Ihre Pfleger selbst einen Migrationshintergrund haben?
Ja, denn sie kennen die Kultur und die Bedürfnisse der Patienten oft besser als deutsche Pfleger und können sich oft besser in sie einfühlen.
Welche kulturellen Fettnäpfchen gibt es denn?
Den älteren Patienten, vor allem aus der Türkei, ist es wichtig, dass die Pfleger ihre Schuhe ausziehen, wenn sie die Wohnung betreten. Überschuhe mögen sie oft nicht. In der Türkei ist es auch üblich, sich unter fließendem Wasser zu waschen. Nasse Handtücher zu benutzen, wie hier, ist nicht üblich. Was die Nahrung angeht, essen unsere muslimischen Patienten kein Schweinefleisch – es ist ihnen wichtig, dass das gekaufte Fleisch halal, also islamisch geschlachtet worden ist. Und männliche Pfleger haben wir nicht. Ältere Herren lassen sich zwar von Frauen pflegen, ältere Frauen aber meist nicht von männlichen Pflegern.
Der Zusammenhalt in Migrantenfamilien gilt als groß. Nehmen sie Ihre Dienste überhaupt in Anspruch?
Die traditionelle Großfamilie gibt es zwar noch, aber ihre Zahl geht zurück. Und die Familien haben immer weniger Zeit, ihr Leben gleicht sich dem der Deutschen an: Sie arbeiten, haben Freizeit und Hobbys. Die hiesige Lebensweise macht es schwierig, sich täglich um die Eltern zu kümmern. Doch viele haben ein schlechtes Gewissen, die Eltern nicht selbst zu pflegen, sondern externe Hilfe zu holen. Es gäbe eigentlich noch viel mehr Arbeit für uns, aber das Schamgefühl ist bei vielen sehr hoch, und die Meinung von Verwandten und Bekannten spielt eine wichtige Rolle. Auch wenn die Angehörigen überfordert sind, geben sie ihre Verwandten deshalb oft nicht ab. Oft sind es dann die Schwiegertöchter, die sich um sie kümmern müssen.
Sie haben Anfang 2002 in Berlin Ihren ersten interkulturellen Pflegedienst gegründet. Was hat Sie dazu bewogen?
Als Krankenschwester habe ich in den achtziger Jahren die Erfahrung machen müssen, dass ältere ausländische Patienten im Krankenhaus oft hilflos waren. Da die erste Generation der „Gastarbeiter“ nur schlecht Deutsch sprach und die Ärzte und das Pflegepersonal nicht verstand, waren die ausländischen Patienten überfordert. Ältere Frauen haben geweint, wenn ihnen Diagnosen gestellt wurden, mit denen sie nicht umgehen konnten. Da bin ich als Dolmetscherin eingesprungen. Ich habe gemerkt, dass es einen Bedarf an Pflegekräften gibt, die sich um diese Gruppe kümmert. Auf deutscher Seite fehlte dafür das Bewusstsein.
Sie selbst kamen 1980 mit Ihrer Mutter und Ihren Geschwistern aus der Türkei nach Berlin. Wie war das für Sie?
Ich hatte einen Klima- und Kulturschock (lacht). In der Türkei hatte ich begonnen, eine Krankenpflegerschule zu besuchen. Als wir meinem Vater, der schon zehn Jahre in Berlin lebte, nachfolgten, wollte ich hier mit der Pflegeausbildung sofort weitermachen. Doch am Anfang war alles ziemlich deprimierend. Ich wollte wieder zurück.
Was störte Sie denn?
Die Arbeit einer Krankenpflegerin unterschied sich hier damals stark von der in der Türkei. Dort wurden wir zwar neben der Behandlungs- auch in der Grundpflege ausgebildet. Doch die Patienten zu waschen und zu füttern, das war Aufgabe der Verwandten. Auch der Umgang der deutschen Kollegen ist anders. Selbst wenn ich schon Deutsch an der Volkshoch- und Sprachschule hatte – meine Kenntnisse waren noch nicht so gut, dass ich alles verstehen konnte. Einmal versuchte mir eine deutsche Krankenschwester etwas zu erklären. Als ich sie nicht verstand, stand sie auf und ging einfach fort. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
Haben Sie Ihre Ausbildung, die Sie in der Türkei begonnen hatten, hier beendet?
Das hätte ich gerne getan, aber die deutschen Behörden erkannten meine Abschlüsse nicht an. Darum habe ich hier eine Ausbildung als Krankenpflegerin absolviert und in mehreren Krankenhäusern gearbeitet. Meine Eltern unterstützten mich. Sie wussten, dass ich keine Fabrik- oder Putzarbeit machen wollte. Ich war ehrgeizig und machte auch noch meinen Hauptschul- und Realschulabschluss.
Wie sehen Sie die Zukunft für interkulturelle Pflegedienste wie den Ihren?
Um unseren Dienst mache ich mir keine Sorgen. Die Zahl der pflegebedürftigen Migranten steigt. Seit einiger Zeit haben wir auch mehr Patienten aus dem ehemaligen Jugoslawien. Das sind teils frühere Gastarbeiter, teils durch den Bürgerkrieg traumatisierte Menschen. Auch sie haben oft geringe Sprachkenntnisse. Ein Phänomen ist, dass rund 50 Prozent unserer Patienten Deutsche sind. Das Bezirksamt, die Krankenkassen, niedergelassene Ärzte, Reha-Kliniken und auch unsere eigenen Pfleger empfehlen uns weiter.
Hat sich die Zahl Ihrer Mitarbeiter dadurch in den letzten Jahren erhöht?
Sie ist eher zurückgegangen – von rund 40 Mitarbeitern im Jahr 2009 auf heute circa 30. Denn es herrscht eine rege Konkurrenz unter den Pflegediensten, insbesondere unter den neu gegründeten. Es entstehen immer neue – deutsch-türkische, deutsch-arabische oder auch deutsch-polnische. Deswegen werden weniger Patienten an uns durch Krankenhäuser, Ärzte, Rehakliniken oder auch durch Angehörige der Patienten weitergeleitet beziehungsweise vermittelt. Dennoch sind wir gut ausgelastet und zufrieden.

08/2014 TAZ

 

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